In unseren Darmabschnitten leben Billionen von Darmbakterien. Sie sind essentiell für unsere Gesundheit, können diese aber auch beeinträchtigen. Ein nicht selten vorkommendes Ungleichgewicht der Darmflora ist die Fehlbesiedlung des Dünndarms (englisch: Small Intestinal Bacterial Overgrowth, kurz SIBO). Bei SIBO besiedeln Dickdarmbakterien den Dünndarm und verursachen damit Beschwerden. Besonders häufig findet sich dieses Phänomen beim Reizdarm-Syndrom, mehr als drei Viertel aller Menschen mit Reizdarm sind Studien zufolge von einer Dünndarmfehlbesiedlung betroffen. (1) Während eine Fehlbesiedlung des Dickdarms mit einer Stuhlanalyse untersucht wird, ist beim Dünndarm ein Atemtest zielführend.
Die richtigen Bakterien am falschen Platz – wie SIBO entsteht
In unserem Dünndarm leben verschiedene Bakterienstämme, die uns nützlich sind. Sie verstoffwechseln Bestandteile unserer Ernährung, fördern unter anderem die Aufnahme von Wirkstoffen aus Heilpflanzen oder regulieren unser Immunsystem und die Barrierefunktion des Dünndarms. Zu den typischen Bakterien des Dünndarms zählen Laktobazillen und Enterokokken. Besonders die Laktobazillen haben noch eine wichtige Aufgabe, sie drängen die Dickdarmflora zurück. Während die Laktobazillen Kohlenhydrate vergären, bilden sie Milchsäure. Diese säuert das Dünndarmmilieu, der gesunkene pH-Wert bildet zusammen mit Schleimhautklappe vom Dünn- zum Dickdarm eine Barriere gegen Keime des Dickdarms wie Bacteroides, Bifidobakterien oder Clostridien. Diese anaeroben (also ohne Sauerstoff lebenden Keime) bilden mit ihren Stoffwechselprozessen Stoffe, die die empfindliche Dünndarmschleimhaut reizen. Dies kann zur Schädigung der Schleimhaut und Störung der Nahrungsaufnahme, und auch zu heftigen Beschwerden führen, die nicht selten falsch interpretiert werden. Menschen, deren Dünndarms eine Fehlbesiedlung aufweist, können unter anderem an:
– Erschöpfung,
– Mangel an Eisen und den fettlöslichen Vitaminen A, D, E, K und an B12,
– Schwindel,
– Reizdarm,
– Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Durchfall oder Übelkeit oder
– Bauchschmerzen
leiden. (2)(3)
SIBO-Diagnostik: Warum ein CH4/H2-Atemtest eine Fehlbesiedlung des Dünndarms erkennt
Die Zusammensetzung unser Ausatemluft kann viel über unsere Gesundheit aussagen. Auch für die Diagnose von Erkrankungen des Verdauungstraktes wie Reizdarm, Kohlenhydratunverträglichkeiten oder SIBO kann sie von Belang sein. Hierbei wird gezielt die Konzentration von Wasserstoff (H2) im Atemgas gemessen. Wasserstoff in der Atemluft ist ein Hinweis auf den sogenannten anaeroben Stoffwechsel, den unsere Zellen nur in Ausnahmesituationen (zum Beispiel beim Sport) wählen. Dauerhaften anaeroben Stoffwechsel praktizieren hingegen die anaerob lebenden Keime unserer Darmflora. Sobald sie Zuckerverbindungen vergären, bilden sie dabei Wasserstoff. Dieser wird von unserem Darm aufgenommen und über die Lunge abgeatmet und ist damit mit einer H2-Atemanalyse im Atemgas nachweisbar.(4) Bisweilen ist bei einer Dünndarmfehlbesiedlung kein Wasserstoff nachweisbar, daher testen wir mittlerweile auch den Methanwert in der Atemluft. Methan entsteht wie Wasserstoff beim Stoffwechsel von Darmbakterien.
Bei der CH4/H2-Atemgasanalyse nehmen Sie im nüchternen Zustand Test-Zuckerverbindungen zu sich. Diese gelangen rasch in den Dünndarm und führen – wenn sich dort anaerobe Dickdarmkeime aufhalten – zu Wasserstoff und/oder Methan in der Atemluft. Wir achten wir nicht nur darauf, ob und in welcher Konzentration Wasserstoff oder Methan messbar sind. Von besonderer Aussagekraft ist auch der Zeitpunkt, wann Wasserstoff oder Methan nachweisbar sind. Bei einer gesunden Dünndarmflora führt der Verzehr der Test-Kohlenhydrate zu keinem Anstieg des Wasserstoffanteils in der abgeatmeten Luft.
Neben Konzentration der Atemgase und dem Zeitpunkt, ab dem diese nachweisbar ist, berücksichtigen wir auch eventuelle Beschwerden, die im Rahmen des Tests auftreten. Dies erlaubt nicht nur Rückschlüsse auf eine Fehlbesiedlung des Dünndarms, sondern auch auf eine eventuelle damit einhergehende Fruktoseintoleranz oder Fruktosemalabsorption.
Atemgasanalyse für eine individuelle SIBO-Therapie
Es gibt viele allgemeine Hinweise, die bei einer Dünndarmfehlbesiedlung hilfreich sein könnten. Eine zielgerichtete Therapie sollte jedoch möglichst individuell sein. Wir berücksichtigen hierfür neben den Ergebnissen der Atemgasanalyse auch ihr persönliches Beschwerdebild und bisherigen Ernährungsgewohnheiten. Damit erstellen wir ein individuelles SIBO-Therapiekonzept, das unter anderem Pflanzenwirkstoffe und spezifische Ernährungsrichtlinien berücksichtigt.
Was Sie vor einer Atemgasanalyse beachten sollten
In unserer Praxis erhalten Sie genaue Anweisungen, wie Sie den Test zuhause durchführen. Der Atemtest wird morgens nüchtern durchgeführt, auch während des Tests sollten Sie weder essen noch kalorienhaltige Getränke zu sich nehmen. Die letzte Mahlzeit am Vortag sollte keine blähenden Nahrungsmittel wie Hülsenfrüchte, keine Milchprodukte und möglichst wenig Ballaststoffe enthalten.
Damit das Ergebnis nicht verfälscht wird, sollten Sie zwölf Stunden vor dem Test keine Zigarette mehr rauchen und keine Kaugummis kauen.
Quellen:
(1) Ruscio M. Is SIBO A Real Condition? Altern Ther Health Med. 2019 Sep;25(5):30-38
(2) Quigley EMM. The Spectrum of Small Intestinal Bacterial Overgrowth (SIBO). Curr Gastroenterol Rep. 2019 Jan 15;21(1):3
(3) Miazga A, Osiński M, Cichy W, Żaba R. Current views on the etiopathogenesis, clinical manifestation, diagnostics, treatment and correlation with other nosological entities of SIBO. Adv Med Sci. 2015 Mar;60(1):118-24
(4) Ponziani FR, Gerardi V, Gasbarrini A. Diagnosis and treatment of small intestinal bacterial overgrowth. Expert Rev Gastroenterol Hepatol. 2016;10(2):215-27